Ilse Tielsch

Podium Porträt Nr. 17


Ilse Tielsch (Mädchenname Felzmann) wurde am 20. März 1929 in der südmährischen Kleinstadt Auspitz (Hustopece) geboren. Schon als Volksschülerin verfaßte sie die ersten Gedichte. Im April 1945 fand sie auf der Flucht vor der nahenden Front Aufnahme auf einem Bauernhof im oberösterreichischen Schlierbach, wo sie Landarbeit verrichtete. Fortsetzung des Schulbesuches in Linz, Matura 1948 in Wien. Studium der Zeitungswissenschaft, Nebenfach Germanistik, an der Universität Wien, Promotion 1953. Zuerkennung der österreichischen Staatsbürgerschaft 1949, Heirat 1950. Kontakte zur Literatur- und Theaterszene in dem am Naschmarkt etablierten "Theater der Neunundvierzig" während der ersten Nachkriegsjahre, Förderung durch Rudolf Felmayer, Jeannie Ebner, die "Literatur und Kritik" redigierte, und Hans Weigel. Mitbegründung des Literaturkreises Podium und Mitredaktion der gleichnamigen Zeitschrift. Der erste Lyrikband erschien 1964, der erste Prosaband 1974. In der literarischen Form der satirischen Erzählung übte Tielsch Zeit- und Gesellschaftskritik. Relativ spät fand die Autorin zur langen Prosa. In den 80er Jahren des 20. Jhs. entstand als Folge des früh erlebten traumatischen Eindrucks des Unglücks, das Haß und Intoleranz zwischen Völkern über die Menschen bringen, u.a. eine Romantrilogie über die Geschichte der Deutschen Mährens. Das Thema des in Fremdheit geworfenen Menschen taucht immer wieder in ihrer Prosa und in ihren Gedichten auf. Ilse Tielsch war von 1990 bis 1999 Erste Vizepräsidentin des Österreichischen P.E.N.-Clubs, sie ist Vorstandsmitglied des Österreichischen Schriftstellerverbandes und lebt als freie Schriftstellerin in Wien.

Publikationen

"In meinem Orangengarten", Gedichte, Bergland Verlag, Wien 1964; "Herbst mein Segel", Gedichte mit Farbholzschnitten von Oskar Matulla, Tusch, Wien 1967; "Südmährische Sagen", München 1969; "Anrufung des Mondes", Gedichte, Verlag Jugend & Volk, Wien 1970, "Begegnung in einer steirischen Jausenstation", Erzählungen, Neugebauer Press, Bad Goisern 1974; "Regenzeit", Gedichte, Verlag Delp, München 1975 (Neuauflage: Verlag Styria, Graz 1981, türkisch: Atatürk Üniversitesi Erzurum 1997); "Ein Elefant in unserer Strasse", satir. Erzählungen, Verlag Styria, Graz 1979 (ungarisch: Budapest 1984); "Erinnerung mit Bäumen", Erzählung, Verlag Styria, Graz 1979 (polnisch: Bydgoszcz 1989, englisch: Riverside, USA 1993); "Die Ahnenpyramide", Roman, Verlag Styria, Graz 1980 (russisch: St. Petersburg 1997, englisch: Riverside, USA 2001, französisch: Paris 2001); "Nicht beweisbar", Gedichte, Delp, München 1981; "Heimatsuchen", Roman, Verlag Styria, Graz 1982; "Fremder Strand", Erzählung, Verlag Styria, Graz 1984 (russisch: St. Petersburg 1999); "Zwischenbericht", Gedichte, Verlag Grasl, Baden 1986 (türkisch: Atatürk Üniveritesi Erzurum 1997); "Der Solitär", Erzählungen, Verlag Styria, Graz 1987; "Die Früchte der Tränen", Roman, Verlag Styria, Graz 1988; "Die Zerstörung der Bilder - unsentimentale Reisen durch Mähren und Böhmen", Verlag Styria, Graz 1991 (tschechisch: Brünn 1994); "SchriftstellerIn? Um Gotteswillen! Vom Schreiben und vom Vorlesen", Verlag Styria, Graz 1993; "Lob der Fremdheit", Gedichte, Verlag Grasl, Baden 1999; "Rückkehr zu Katrin", Erzählungen (nur bulgarisch, Sofia 1999); "Eine Winterreise", Erzählung, Literaturedition NÖ, St. Pölten 2000, (bulgarisch: Sofia 2001); "Der August gibt dem Bauer Lust", Wettersprüche und Geschichten, Österreichisches Literaturforum, Krems 2000; "Ausgewählte Gedichte", Podium (Podium Porträt 17), St. Pölten - Wien 2004.

Sekundärliteratur zur Lyrik

"Die Lyrik von Ilse Tielsch", Jan Watrak, Wydawnictwo Naukowe Uniwersytetu Szczecinskiego 2001 (Buchpublikation der Universität von Szczecin); außerdem: Karl Krolow in der FAZ, Frankfurt; Peter Jokostra in "Westermanns Monatshefte"; Gertrude Urzidil in "Central Europe"; Wolfgang Hädekke im Hessischen Rundfunk u.a.

Preise und Auszeichnungen

Förderungspreis der Theodor Körner-Stiftung 1964, Boga Tinti-Lyrikpreis des Presseclubs Concordia 1971, Würdigungspreis des Landes NÖ 1971, Ehrengabe zum Andreas Gryphius-Preis 1972, Erzählerpreis des Autorenkolloquiums Neheim-Hüsten und Preis der Arnsberger Schülerjury 1975, Südmährischer Kulturpreis 1981, Buchprämien des Bundesministeriums für Unterricht und Kunst 1982 und 1988, Sudetendeutscher Kulturpreis 1983, Preis der Harzburger Literaturtage 1987, Andreas Gryphius-Preis 1989, Anton Wildgans-Preis 1989, Österr. Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst 1989, Wolfgang Amadeus Mozart-Preis der Goethe-Stiftung Basel 1995, Schönhengster Kulturpreis 1998, Eichendorff-Preis 1998, Goldenes Ehrenzeichen f. Verdienste um d. Land Wien 2000

Leseprobe


Frühling

Die Kirschbäume blühen
die Weinstöcke treiben aus
ich habe mein Fahrrad
mit bunten Netzen bespannt
im Haus gegenüber
spielt mein Vetter die Geige
Großvater prophezeit uns
ein gutes Jahr
Jetzt werde ich wieder
über die Hügel gehn
nachts im Traum
mein Vetter geigt schon
lange nicht mehr
Großvater hat man
in Röthenbach begraben
das liegt in Franken
wie ist er dorthin gekommen
über den Weinberg führt
eine Autobahn
ich habe mir wieder ein Fahrrad gekauft
die bunten Netze gibt es nicht mehr
wie bin ich hierhergekommen
wie sind wir alle dorthingekommen
wo wir jetzt sind

*

Wir sind zufrieden

Die Straßen sind gut
wir kommen schneller
voran
wir werden schneller vergessen

Die Entfernungen werden kleiner
die Ziele schrumpfen
das Erinnerungsvermögen
nimmt ab

Die Fenster sind abgedichtet
die Türschlösser sind patentiert
wir essen die Suppe lauwarm
wir wollen uns nicht
verbrennen

Immer noch sind die Mörder
unterwegs
wir nehmen es nicht so
schwer

so stirbt es sich
leichter

*

Altes Thema geringfügig abgewandelt

Wir sahen den Lichtschein
dachten:

DORT IST EIN HAUS

die alten Worte fielen uns ein:
Mensch Bruder und Brot
Dach Tisch und Bett
Barmherzigkeit
Frieden

Ochs und Esel
trafen wir nicht
auch Hirten
waren keine unterwegs
in der Stube
fraßen die Gäste
von vollen Schüsseln

Wir fragten nicht
nach dem Kind
aber der Wirt
las uns die uralte Hoffnung
aus dem Gesicht

er deutete mit dem Daumen
zur Tür
und sagte:

DRÜBEN IM STALL

*

Tagtraum

Manchmal falle ich mitten im Tag
aus dem Lärm meiner lauten zeit
zurück in die Stille und in den Glanz
einer fernen Vergangenheit
dann geh ich in meiner großen Stadt
durch eine andere Welt
und träume mich in mein Kinderland
zwischen Weinberg und Weizenfeld
und trete durch Türen und geh durch ein Haus
von dem nicht ein Stein mehr steht
und höre Stimmen die lange schon
vergessen sind und verweht
und sehe Bilder: den glitzernden Knauf
am Kirchturm im Abendlicht
Großvaters Hof mit dem Birnbaum davor
und Großmutters sanftes Gesicht
sie kommt durch den Garten
mit leichtem Schritt
und streicht mir über das Haar
ein Kornfeld wellt sich im Sommerwind
die Zeit steht still
ich bin wieder das Kind
das ich war

*

Zur Winterszeit

endlich die Stille
von der du geträumt hast
jetzt weißt du um ihr Gewicht
durch die geschlossenen Fenster
hörst du die Schritte der Toten
die über das Eis gehen und
nach dem Tor zur verheißenen
Ewigen Seligkeit suchen
du öffnest ihnen die Haustür
aber sie gehen vorbei die Ängste
der Lebenden haben keine
Bedeutung für sie
unruhig wanderst du
durch dein Haus
der Spiegel zeigt dir
wer du nicht bist
jede Schneeflocke
hat einen Schatten
dafür daß dein Blut
noch warm ist gibt es
keine Erklärung

*

Ilse Tielsch: Ausgewählte Gedichte. Vorwort: Barbara Neuwirth. 64 Seiten, Euro 6,-. Podium (Podium Porträt Nr. 17), St. Pölten - Wien 2004. ISBN 3-902054-28-X

 

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