Bernhard Widder

Podium Porträt Nr. 86


Bernhard Widder, geboren 1955 in Linz, lebt in Wien. Architekturstudium an der TU Wien (Dipl. Ing. 1985). Verheiratet mit Romana Lunzer, Keramikerin, zwei Söhne (Matthias, David). Freischaffende Tätigkeit als Schriftsteller und Architekt (Forschung, Ausstellungen). Veröffentlichte Lyrik, Prosa, zahlreiche Essays und Aufsätze, Übersetzungen aus Englisch und Spanisch (Essays, Lyrik). 1996–2000 Forschungsarbeit über das architektonische Werk des 1938 in die USA emigrierten gebürtigen Oberösterreichers Herbert Bayer (bauhaus in Weimar und Dessau). Mitgründer der „literarischen Vereinigung SALON“ (Wien 2, seit 1988). Reisen in Europa, lange Aufenthalte in Nord- und Südamerika, Asien.
Gastvorträge an der Kunsthochschule Linz, Architektur (1986/87/93); Fakultät für Architektur, TU Wien (1994/95); Universidad de Antioquia, Medellín (Kolumbien, 1998); Vorträge an mehreren mexikanischen Universitäten (1998); Naropa University, Boulder (Colorado, USA, 1997, 2003); Schule für Dichtung in Wien (2002/2011), La Habana, Cuba (2005), Teheran, Yazd, Iran (2014).

Liber Tropicus, Gedichte (edition neue texte, Linz 1983)
Handgerede, Gedichte (Edition Umbruch, Wien–Mödling 1991)
Vorbire de la distanta/Sprache aus Entfernung, Gedichte (rumänisch-deutsch, übersetzt von Peter Sragher, Editura D.U. Style, Bukarest, Rumänien 1995)
Musik in Ouessant. Bretonisches Journal (Edition Selene, Wien 1997)
Notizen für eine Landschaft, Gedichte (Edition Selene, Wien 1998)
Herbert Bayer – Architektur, Skulptur, Landschaftsgestaltung, Monografie (Springer Verlag, Wien 2000)
Oslobodeni Sborovi/Befreite Wörter, ausgewählte Gedichte (mazedonisch, übersetzt von Ranka Grˇceva, Ed. Pleiadi, Struga, Makedonia 2007)
Miris Svetlosti/Lichtgeruch, ausgewählte Gedichte (serbisch/ deutsch, übersetzt von Zlatko Krasni, Ed. Meridiani, Smederevo, Serbien 2007)
Handgerede/Slang of Hands, Gedichte (englisch/deutsch, Mitter Verlag, Wels 2009)
Govoreˇci Peisaˇsi/Sprachliche Landschaften, ausgewählte Gedichte (bulgarisch, übersetzt von Krastjo Stanischev, Ed. Poesie, Sofia, Bulgarien 2010)

Co-Herausgeberschaften:
Beat.Dichtung (Bestände No. 19/20, Stainach/Stmk. 1991, mit Rainer Vesely)
Anthologie Salon 1988–1994 (Ars Nova Verlag, Wien 1994, mit R. Vesely)
Querungen – literarische Texte zu beiden Amerikas, Essays (Ritter Verlag, Klagenfurt–Wien 2001, mit R. Vesely)
Ahoi Herbert! Bayer und die Moderne, Anthologie/Monografie (Verlag Bibliothek der Provinz, Linz/Weitra, 2009, mit Elisabeth Nowak-Thaller)

Übersetzungen:
Anne Waldman (New York, USA), Troubairitz, Poem, englisch/deutsch, Nachwort (Stadtlichter Presse, Berlin 2002)
Wadi Al-Obeadi (Irak / Exil in Österreich und England), Zufällig entkommen, Gedichte, arabisch/deutsch, Nachwort (Edition Linz/Bibliothek der Provinz, Linz/Weitra 2006; die deutschen Fassungen entstanden in Zusammenarbeit von W. Al-Obeadi und BW, 2004-05)
Gary Snyder (Nevada City, Kalifornien, USA), Mythen & Texte, Gedichte, englisch/deutsch, Nachwort (Stadtlichter Presse, Wenzendorf/D 2010)
Darley Rojas Castañeda (Kolumbien/Wien), Türkisfarbenes Tor, Gedichte, spanisch/deutsch, Nachwort (Stadtlichter Presse, Wenzendorf/D 2013)

 

Leseprobe


Nördliche Landschaft

der hang bricht finster und scharf und konturlos,
die kanten des schwarzen hofs
als hätte der berg ein archaisches dach

der gewölbte ausschnitt des himmels, wie der
reflex eines entfernten mittags, ätherische
rotspuren.

nacht davor. eine tür geht auf gespenstisch sacht.
licht strahlt grell auf holz.

drei menschliche silhouetten wachsen aus dem
schwarzen hang und verlassen die landschaft im
licht.

(Mühlviertel, Oberösterreich, 1977)


Le Corbusiers Verschwinden

schaft der dorischen säule vor einem dunkelblauen
oder schwarzen himmel:

weißer greller kalkstein, zerfranste ränder der stege der
kannelur in strengem licht wie die rippen eines zersägten
schneckenhauses.

die räume des späten werks enthalten den traum einer
egalitären gesellschaft.

sichtbar sind ihre oberflächen aus höhlungen und
grobem beton, wo vogelschatten ihre muster werfen.

form entstand aus der betrachtung von kieseln und
meeresschnecken:

in seiner jugend zeichnete er mit rotem stift auf rauhem
papier die muster von schneckengang und kammern
in einem nautilus:

die flut spülte ihn an den strand zurück:

gleich einer offenen hand die glatte fläche aus nassem sand,
linien aus tang, resten von muscheln und fischernetzen.

(Wien, 1990)


Unsichtbar

selbst die schrecklichen zehn jahre haben
an diesem werk nichts zerstört, wird gesagt.
kein kommissar oder spekulant kam,
um diesem nutzlosen garten einen neuen namen

im dienst des fortschritts oder
des verwirklichten sozialismus zu geben.
in fast sechzig jahren blieb der garten unsichtbar
für augen, die nichts sehen.

torblock mit einigen reliefs, ein kreis
aus runden hockern um eine kreisrunde platte,
holz oder stein. schlanke gewendelte stele,
die zwischen bäumen verschwindet.

ihr name soll sein: säule des unsichtbaren.
ein kleineres wort als unendlich.
ich war noch nicht dort, kenne nur bilder.
verwittertes holz, stein mit moosen,

vögel, heißer südlicher wind in trockenen blättern,
der über die oltenische ebene streicht.
der weiche name des orts, târgu jiu,
alte musik.

(Târgu Jiu, Rumänien: Park des Constantin Brâncusi, 1993)


Csákánydoroszló

auf grober straße,
neben wilderen wiesen,
südliche pflanzung vermischt
mit fichten, kiefern.

wegweiser: wart,
örségi hegy,
wo eulen tief segeln,
wo leute sich ihre häuser erhalten,

verborgen drin leben mit hellblauen augen
und altertümlichem sprechen.
verlassene häuser: skulpturen aus holz,
lehm, ziegel, kalk, stroh.

wanderer, bieg hier ab,
geh über den fluß.
wo kein quartier dich erwartet,
wo mahlzeiten sparsam sind,

wo trinker verloren nach deinem pass fragen.
dort drüben flog ein jahrhundert vorüber,
wind über heide,
hinterließ nicht viel.

(Örség, Südwest-Ungarn, 1994)


Wie Piedmont

undeutlich die erinnerung an die morgengeräusche.

sah ich das erste licht, gefiltert im grün,
mit einem lärm, der durch bäume drang?

wind im dichten grün in einem stadtteil,
den es nicht gibt.

wenn ich gehe, ziehe ich die tür hinter mir zu,
habe den wind, der durch die wohnung streicht,
noch im rücken.

ging die kempton avenue hinüber nach piedmont,
unter der interstate-brücke,

folgte dem duft von eukalpytus
und der erinnerung an morgengeräusche,
die nicht deutlicher wurde,

sondern nur dunkler,
je heller der vormittag.


(Piedmont, Berkeley, Bay Area, California 1985 / Wien, 1995)

 

Bernhard Widder: Ausgewählte Gedichte. Vorwort: Christian Teissl. 64 Seiten, 1 Abb., Euro 6,-. Podium (podium porträt 86) Wien 2015. ISBN 978-3-902886-25-5

 

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